Donnerstag, Mai 04, 2006
nicht mehr ganz so anonym
Der Vampir zog seine Handschuhe an, genoß das Vorspiel dieses Abends. Die Musik auf dem Plattenspieler: Schuberts Irrlicht aus der Winterreise. Jeder Weg führt zum Ziel summte der Vampir innerlich. Er drappierte das Halstuch. Die kleinen Rituale die ihm über Jahrhunderte halfen seine Vorfreude zu schüren. Er hatte wahllos und wild gemordet in den vorigen Nächten, kaum in der Lage das Tier in sich zu zügeln. Hatte sich vollgesogen wie ein Blutegel an all den alkoholgetränkten, heroinbetäubten von der Arbeit sauer gewordenen anonymen Opfern. Alles nur um sich im entscheidenden Moment bremsen zu können. Wie er es hasste am nächsten Abend zu früh wach in seinem Sarg mit dem bitteren Nachgeschmack der vergeudeten Seelen. "Für dich opfere ich mich auf mein Mädchen, und du ahnst nichts von meinem Leid." Da war kein Schmerz, was er Leid nannte war nurmehr Selbstverachtung eines verwöhnten Kindes des Dionysos. Das Leid war mit der menschlichen Seele gestorben, was dem noch am nächsten kam war Langeweile. Und eben aus diesem Grund war er Feinschmecker geworden. Das was ihm fehlte, die Seele, die sein Körper jede Nacht aufs neue im Blut der Menschen herbeisehnte und doch nicht halten konnte hatte für ihn Geschmack. Nicht der Oberflächliche erste nach Lebensgewohnheit, Nahrung oder Drogen der ihn mit dem ersten Tropfen überschwemmte, er war dem tiefen raunen oder dem flüchtigen Schmetterlingsflügel verfallen, der sich nicht durch Leben verändern ließ. Und er meinte einen guten Tropfen erkennen zu können, anhand der Stimme vielleicht oder dem Geruch, dort war er ein wenig unsicher. Es war möglicherweise ein anderer Sinn der ihn die Aura des Opfers erahnen ließ, doch dieser Sinn war wankelmütig, irrte sich ab und an und ließ ihn frustriert zurück.
Bei diesem Mädchen würde es anders sein, die Mühe der vergangenen Nächte würde sich lohnen. Der Vampir traf das Mädchen das erste Mal in der Werkstatt des Kunsthistorischen Instituts, als er sich einige seiner Erinnerungsstücke auffrischen lassen wollte. Das Kind schien Mitte zwanzig zu sein sie war klein, trug Hemd Krawatte und Weste darunter ein Rock und Schnürstiefel. Die langen blonden Haare hingen strähnig unter einer Baskenmütze hervor. Ihr Blick verschlossen sie gehörte eigentlich nicht hierher, holte einige Dias ab und war verärgert über die Störung. Der Charme des Vampirs wirkte zielsicher, dabei spürte er allerdings erhebliche Gegenwehr. Der Bann war bald gebrochen, ihr Interesse galt ihm. Sie war bezaubert von einem Gemälde das seine Schwester zeigte. Half ihm bereitwillig weiter, doch all sein Zauber wirkte nicht um ihr eine Einladung zu entlocken. Es folgten Briefe, sie schrieben sich über Monate hinweg, er konnte aus den kleinen schwarzen Buchstaben kein noch so kleines Geheimnis entlocken. Sie machte ihn rasend, hatte er doch eine Ahnung von der Reinheit ihres Blutes erhascht, er begann wild zu morden um sich abzulenken. All seine Vorsicht und die über Jahrhunderte angeeignete Beherrschung bröckelte von ihm ab. Er war besessen. Aber das passierte ihm nicht zum ersten Mal, er kannte sich zu gut, um sich von der Kleinen in ernste Gefahr bringen zu lassen. Heute Nacht würde er sie kosten, noch wenige Tage am Leben lassen um von der Schönheit ihres Blutes zu zehren, bevor er ihrem Herzen den letzten Schlag entriss.
Sie freute sich seit Monaten auf diesen Abend. Stand vor dem Spiegel und wischte sich zum dritten Mal die Lippenfarbe wieder ab. Perfektionistin schalt sie sich und konnte doch nicht anders als erneut den Kajal zu spitzen, um nun doch den gewünschten Schwung zu zeichnen. Die langen Haare steckte sie sich am Hinterkopf zusammen, um sie durch einen Handgriff wieder öffnen zu können. Anfangs hatte sie Widerwillen gefühlt angesichts des altmodisch gekleideten Mannes in der Werkstatt. Dann hatte ihre Neugier gesiegt, und nun wiederholte sie vor dem einschlafen im Geist seine Stimme. Die Briefe waren angefüllt von Geheimnissen die ihre Sehnsucht weckten. Eigentlich wollte sie ihn nicht körperlich besitzen, sie sehnte sich danach bei ihm zu liegen, nur wissend sie könnte ihn haben wenn sie es wünschte. Heute hatte sie ihn eingeladen obwohl sie Fremden nie so leicht die Tür öffnete. Ganz gegen ihre Gewohnheit trug sie ein langes Kleid. Er hatte gesagt, dass er bereits gegessen hätte, so blieb ihr nichts als aufzuräumen und die passende Musik zu wählen. Sie hörte Schubert, das Irrlicht, und dachte sie würde auch in die Irre gehen, und ob dieser Weg sie wohl ans Ziel bringen würde?
Als er vor der Tür stand und höflich wartete bis er hereingebeten würde entdeckte sie zum ersten Mal seine strahlend blauen Augen in dem Gesicht, das von Camille Claudel aus weißem Marmor erschaffen sein könnte. Er erstarrte beim eintreten und bemerkte auch er habe diese Musik gehört bevor er aufbrach. Verunsichert saßen sie im Raum. Er auf dem großen schwarzen Ledersessel, sie auf ihrem Bett. Dann gewann er die Fassung wieder und gab sich gewandt. Sie überließ ihm die Führung. Er wies sie auf Gemeinsamkeiten hin, wiegte sie mit seinen Worten wie ein Kind. "So leicht geht es", zweifelte sie, "ich muss mich nur treiben lassen und fügen. Schon bald kann ich bei ihm liegen, den erschöpften Körper neben mir wissen, würde er doch schon beginnen, die Spannung schmerzt beihnahe."
Sie ließ das Haar über die Schultern fallen und lächelte kaum merklich. Ihm kam es vor als wüsste sie von seinem Vorhaben, das ausharren hier und die Komplimente hatten viel von seiner Zurückhaltung gefordert. Er war so schnell neben ihr am Bett, dass kein menschliches Auge es hätte wahrnehmen können. Gewaltsam riss er ihren Körper in die Höhe, bereit ihre Gegenwehr zu ersticken, doch da war nichts. Ernste eisig große Augen starrten ihn an. Sie lächelte noch immer. Er ließ beide Körper wieder auf das eiserne Bett fallen. Als er sich über sie neigte war sie wie in Trance, spürte keinen stärkeren Schmerz als das Sehnen.
Er schob seine Zähne sanft in ihren Hals. Sie glitten hinein als wäre da kein Widerstand. "Wie anders dieser Hochgenuss als das sinnloße Reißen, das Schlachten." waren seine Gedanken als er sie aufnahm. So zart fühlte er die Müdigkeit der letzten Tage, silbern glitzerte ihre Sehnsucht nach ihm auf seiner Zunge. Aber er drang tiefer um das Geheimnis schmecken zu können, ihr sein zu begreifen. Da war es wie der blasse Mond zwischen Birken am Morgen und mehr, aber tiefer schmeckte er nicht, er musste eine Pause machen. Zu satt hatte er sich gefressen an den anonymen Leichen um ihre Schönheit zu ergründen. Und doch konnte er nicht von ihrem Fleisch ablassen. Bienen summten in diesem Blut, so verwoben dass der Klang klarer wurde, Nebel lichtete sich von der Landschaft, er sah den waagerechten Horizont. Der Morgen dammerte bereits, da lag er noch neben ihr tröpfchenweise kostete er von ihrem Blut, schien dabei immer erfüllter von der Mädchenseele.
Verschwunden, vom ersten Sonnenstrahl aufgezehrt, neben ihm lag sie noch vor Minuten wie sie es sich erträumt hatte.
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